Morgen Früh \240geht es wieder los – Abenteuer, Highlands!

Das Schlimmste an einer Reise ist immer das Packen. Ich packe stets zu viel (letztes Jahr: 56kg) und noch dazu das Falsche. Statt mich also dieser zermürbenden Tätigkeit hinzugeben, stöberte ich heute lieber stundenlang im Lieblingsbuchladen nach der passenden Reiselektüre. Bücher gehören schließlich mit in die Highlands. Vorletztes Jahr ließ ich mich von 16 Büchern begleiten (oder ich begleitete sie?) und am Ende las ich – zwei. Nun ja. Jetzt muss nur noch der Rest gepackt werden…

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3RQQ+QX Aberdeen, Vereinigtes Königreich

Zugegeben, eine Reise mit dem Flugzeug ist wesentlich unspektakulärer als eine mit der Deutschen Bahn. Statt Weichen-, Signal- und Kommunikationsstörung herrscht eine beinahe peinliche Pünktlichkeit; die Toiletten funktionieren und die Mitreisenden werden noch nicht mal auf halber Strecke rausgewofen, weil das Fortbewegungsmittel frühzeitig umkehren möchte. Das Ergebnis: Man erreicht sein Ziel wie erwartet – und hat keine Geschichte zu erzählen.

Umso mehr Geschichten hingegen wusste das Ehepaar zu erzählen, in deren Haus ich während ihrer baldigen Abwesenheit eine Woche lang leben werde (und deren Hunde und Pferd ich hüten darf). Es schien, als hätten sie schon viele Jahre lang darauf gewartet, dass ich endlich in ihrem Wohnzimmer sitze, damit sie mir (irgendwem! endlich!) von ihrer Verwandtschaft erzählen können. Schotten sind gemeinhin lustige Geschichtenerzähler, oder zumindest lässt der schwer verständliche schottische Akzent den nötigen Raum für humoristische Phanasie. Da gibt es etwa die Schwiegerfamilie aus Kanada, die den guten alten Reiseschecks nachtrauert, von Kreditkarten nichts wissen will und stattdessen jedes Jahr mit einer fragwürdigen Brusttasche voller 5 Pfund-Noten zu ihnen nach Schottland zu Besuch kommt. Nur um sie dann – nicht auszugeben. In Schottland herrscht schließlich schon lange Kartenzahlung, weswegen der armen Verwandtschaft nichts anderes übrig bleibt, als sich ein weiteres Jahr von ihren verzweifelt höflichen Gastgebern aushalten zu lassen. Und dennoch – die Brusttasche voller unnützer Pfundnoten darf – und wird – auch beim nächsten Besuch auf gar keinen Fall fehlen. Der Schein des guten Willens muss gewahrt bleiben.

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Aberdeen Coastal Path

Die beiden wichtigsten und sich gegenseitig bedingenden Orte Schottlands: Seine Küste – und natürlich die Highlands.

Niemand weiß bessere Fragen zu stellen als das Meer, nachdem man entlang seiner Küste stundenlang durch Regen und Nebel gelaufen ist und dabei die eigenen Gedanken längst vergessen hat.

Und manchmal, in gnädigen Momenten, sind es dann die Highlands, die auf all diese Fragen fast unmerklich Antworten andeuten.

Doch von den Highlands später mehr. Heute lief ich in der glücklichen Gewissheit durch den Regen, dass Nachts ein warmes Daunenbett auf mich warten wird. Das Zelt darf noch ein bisschen warten.

Bei meiner Rückkehr in mein temporäres Zuhause freundete ich mich erst einmal mit Kracker dem Pferd an. Ein äußerst zaghafter Beginn einer Freundschaft – Kracker ist ein einsames und trauriges Pferd, der Menschen ängstlich zu misstrauen scheint. Er eroberte sofort mein Herz – und schließlich seine Karotte.

Mit den Hunden war es da weit einfacher. Sie scheinen von Grunde auf große Fans von Menschen zu sein und so genügte ein einziges warmes Wort für sofortige Freundschaft.

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88 Regent Quay, Aberdeen AB11 5DF, Vereinigtes Königreich

Es ist erstaunlich, wie viele Eindrücke manchmal an einem einzigen Tag zusammenkommen. Ich verbrachte den Tag in Aberdeen, wo gerade die größten Segelschiffe aller Länder und Jahrhunderte zusammenkommen. Ein Großereignis. Ganz Schottland befand sich in heller Aufregung – und ich war das auch.

Die Schiffe lagen müde vor Anker und die Schotten saßen mit ihren Pints glücklich im Regen, während im Hintergrund ein Dudelsack plärrte. Und anstatt sich über das triefende Wetter zu ärgern, freuten sich die Schotten darüber, dass ihr Glas im Regen nie leerer wurde. Das ist schottische Weisheit.

Abends nahm ich an einem Gottesdienst einer Spiritual Church teil. Ich hatte davon gehört und wollte es unbedingt selbst mal erleben – diese Kirchen gibt es nahezu überall in der UK. Als Teil des Gottesdiensts (bei dem hauptsächlich gesungen wird und – kurz gesagt – für die Heilung der Welt gebetet wird), empfängt ein Medium Jenseitskontakte für die Besucher.

Und – das war völlig faszinierend. Für viele Schotten ist es ganz normal, mit den Verstorbenen in irgendeiner Form in Kontakt zu stehen. Das Leben ist ja durchaus wundersam…

Abends erzählte ich dem einsamen Kracker von meinen Erlebnissen. Er schien von all den Wundern nicht einmal sonderlich überrascht zu sein und freute sich vor allem darüber, dass ich meine Erzählungen mit Karotten unterfütterte.

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Ballater

Ein Abenteuer kann man sich nicht aussuchen und schon gar nicht planen. Sonst wäre es ja auch kein Abenteuer, sondern eine Attraktion. Das Abenteuer kommt zu einem – und das ist nicht immer gut (vor allem Montagmorgens).

Heute Früh wollte ich nur eine kleine Runde mit den Hunden spazierengehen und dann in die Highlands abtauchen. Meine Gastgeber hatten mich bereits gewarnt, dass die Hündin Maia „einfach etwas anders“ ist. Sie mache nie etwas ganz falsch – aber auch nie etwas ganz richtig.

Doch ich glaube, das stimmt nicht. In meinen Augen macht sie sehr vieles sehr richtig. Und – sehr vieles sehr falsch. Heute Früh etwa kam sie auf die Idee, zwei volle Plastik-Kottüten zu fressen (wieso genau?). Google dazu befragt sagte es, was es zu derartigen Fragen immer sagt: Der Tod ist unausweichlich. Worin Google früher oder später natürlich Recht hat, aber dennoch packte ich Maia und fuhr sie zum Tierarzt.

Sie freute sich sehr über unseren gemeinsamen Ausflug, liebte den Tierarzt und hatten einen so schönen neugierigen Blick auf unser kleines Abenteuer, dass ich sie gerade in ihrem Anderssein ins Herz schloss.

Bald war ihr vorzeitiger Tod (an den aber auch nur Google geglaubt hatte) abgewendet und für die Highlands blieb mir trotzdem noch genug Zeit.

Heute war ein Tag, an dem sich einfach alle medizinischen Probleme lösten – seit ich in Schottland angekommen war, war ich sonderbar erschöpft gewesen. Hätte ich Google gefragt, hätte es eine klare Antwort gewusst. Heute Abend in der Küche bemerkte ich dann jedoch beim gedankenverlorenen Lesen der Etiketten, dass ich die ganze Zeit entkoffeinierten Kaffee getrunken habe. Drei Tage ohne Koffein und ich wundere mich, wieso sich mein Körper wie eine Nahtoderfahrung anfühlt.

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Seal Beach

Mit einem Übermaß an Koffein (an Überkompensation kam ich noch nie vorbei) lief ich hochinspiriert viele Stunden lang die Ostküste entlang – ohne einem Menschen zu begegnen.

Stattdessen begleiteten mich zwei neugierig-verspielte Robben im Wasser.

Immer wieder tauchten sie ab, um dann irgendwo anders wieder aufzutauchen. Dann blickten sie erneut zu mir. Und ganz offensichtlich war es Teil des Spiels, dass ich zurückschauen sollte. Sobald ich sie an ihrer neuen Position entdeckt hatte, ging es von vorne los – oder im nächsten Level.

Wer wann wie viele Punkte sammelte, konnte ich nicht erkennen, aber es war ein schönes Spiel.

Von Robben kann man viel lernen. Während die sich bei Weitem überlegen fühlenden Menschen in enger Kleidung in klimatisierten Glasgebäuden sitzen und mit wichtigen Blicken ernste Meetings einberufen, um dann für viele Stunden auf die immer gleichen Powerpoint-Präsentationen zu starren – spielen die Robben lustige Spiele im kühlen Meer. Und am Ende gewinnen alle (glaube ich).

Gut, könnte man jetzt einwenden, als Robbe hat man es ja auch leicht. Man muss keinen Kredit abbezahlen, in keine Altersvorsorge investieren und kann den Nachbarn ganz einfach mit dem größeren Fisch beeindrucken.

Und vielleicht stimmt das. Vielleicht haben sie einfach Glück, dass sie weder gesellschaftliche Erwartungen erfüllen noch Brücken reparieren müssen –

Eine Robbe müsste man sein.

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Meikle Pap

Heute zum ersten Mal tief in die Highlands abgetaucht.

Irgendwann zwischen zwei Gipfeln begegneten mir Menschen.

Eigentlich mag ich es nicht, wenn die Highlands so überlaufen sind, aber die beiden waren nett und so sah ich es ihnen nach (ich hoffe sie mir auch).

Das Problem an den Highlands ist (und daran kämpfe ich seit Jahren): Das, was die Highlands wirklich ausmacht, lässt sich nicht durch Fotos erzählen.

Durch Worte im Übrigen auch nicht.

Und dennoch versuche ich es immer wieder, um immer wieder daran zu scheitern – es liegt da etwas in der Luft. Eine Energie vielleicht, eine Ahnung oder ein Gefühl, wie ich es von keinem anderen Ort der Welt kenne. Etwas, gegenüber dem man sich wundersam klein fühlt und das ganze Universum so wundersam groß.

Ein Gefühl so wunderschön, dass ich jedes Jahr hierher zurückkehre.

Zurück zu Hause freute ich mich darüber, dass am 5. Tag unsere Freundschaft schon so weit fortgeschritten ist, dass Kracker laut wiehernd zu mir trabt, sobald ich seinen Namen rufe. Ich glaube, das liegt an den vielen Geschichten, die ich ihm jeden Abend erzähle. Und vielleicht mögen auch die Karotten ihren kleinen Teil dazu beigetragen haben.

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Johnshaven

Morgens halb zehn in Schottland –

Während ich an der Küste sitze und mein Käsebrot esse, zieht eine Gruppe Delphine an mir vorbei (ich möchte sie nicht „Schule“ nennen, da ich nicht davon ausgehen kann, dass es sich bei dieser naturverbunden, aufgeweckten und inspirierten Gruppe um eine Schule handelt).

Schottland meint es gut mit mir – Robben, Hunde, Delphine und ein Pferd. Da fehlt eigentlich nur noch das Nationaltier Schottlands – das habe ich noch immer nicht getroffen.

Alle Schotten, die mir an diesem Tag entgegenkommen, schmettern mir fröhlich das ihnen so zueigene „It‘s a nice day, aye?“ entgegen.

Und jeder findet einen anderen Grund, wieso es sich heute um einen besonders schönen Tag handelt. Der eine spricht von der kühlen Briese, die andere vom Salz in der Luft, der nächste bemerkt das Lachen der Seemöwen und die wiedernächste weist auf den Tanz der Wolken hin – und überhaupt, das Leben.

Und wahrscheinlich haben sie alle Recht.

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Bennachie

Heute über letzten Sonntag nachgedacht. Noch erstaunlicher als das Medium selbst waren eigentlich die Besucher des Gottesdienstes.

Das Medium offenbarte Unglaubliches. Obwohl sie niemanden der Anwesenden kannte, wusste sie gewissermaßen alles über uns. Wer wir waren, was wir taten – und sie übermittelte die Namen, Charakteristiken und Botschaften von Verstorbenen. In einer Klarheit und Detailgenauigkeit, wie ich es noch nie erlebt habe.

Da war etwa der Fünfzigjährige, der zusammen mit seinem Bruder den Gottesdienst besuchte. Über das Medium wurde er von seinem verstorbenen Vater dazu ermahnt, den kürzlich abgesagten Arzttermin gefälligst wieder zu vereinbaren, dieser sei wichtig! Vom Medium befragt, ob er tatsächlich gerade einen Arzttermin abgesagt hatte, bejahte er kleinlaut und erntete dafür strenge Blicke von seinem älteren Bruder. Zuvor hatte sich der Vater den beiden Brüdern mithilfe des Mediums durch seinem Namen, das ehemalige Auto und Lieblingsessen zu erkennen gegeben.

Und die Besucher? Während ich mit weit aufgerissenen Augen vom letzten Rest meines materialistischen Glaubens abfiel – schwiegen die Schotten. Sie schienen tief berührt – doch gleichzeitig nicht allzu überrascht. Und offenbarten darin eine solch selbstverständliche Demut gegenüber dem unerklärlichen Geheimnis unserer Existenz, dass ich mich über das rational-materialistische Weltbild der westlichen Welt einmal mehr zu wundern begann.

In diesem Sinne empfand ich den Abend tatsächlich als Gottesdienst im besten Sinne – denn die Botschaften des Mediums dienten keinesfalls der Show. Vielmehr wurden wir alle daran erinnert, dass es etwas weit größeres als den Menschen geben muss, das unser Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt. Etwas, das sich nicht vermessen, berechnen und kontrollieren lässt. Tausend Fragen, keine Antwort.

Ich wünschte, in Deutschland gäbe es diese Art der Kirchen und würden – ähnlich wie in Schottland – gesellschaftlich als normal angesehen werden. Ich glaube, es würde uns nicht schaden, gelegentlich mit den Begrenzungen unseres Verstandes in Kontakt zu kommen – und mit dem schönen Gefühl der Demut.

Für alle, die irgendwann nach Schottland reisen, kann ich jedenfalls eine wärmste Empfehlung aussprechen, einmal einen Gottesdienst einer Spiritual Church zu besuchen. Denn darüber kann man nicht lesen – man muss es selbst erlebt haben.

(Alles wie immer sehr wundersam in Schottland)

augen von den resten meines materialistischen glaubens abfiel) – darin lag große weisheit.

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Loch Etchachan

Heute Früh zog ich mit meinem Zelt aus ins geliebte Nirgendwo.

Das Wetter präsentierte landesgemäß sein volles Spektrum. Sobald man endlich die passende Jacke angezogen hatte, änderten sich die Bedingungen erneut, sodass man immerfort falsch gekleidet war.

Die ersten beiden Schotten, die mir entgegenkamen – noch war so etwas wie Sonne zu erahnen –, trällerten fröhlich ihr gewohntes „Such a nice day, aye!?“. Und ich begann mich zu fragen, inwiefern dieser schottische „schöne Tag“ überhaupt einen Bezug zur Realität habe und, sofern er dies tue, wie weit es das schottische Wetter wohl treiben dürfe, bis es kippt.

Es dauerte nicht lang – da passierte es. Es kippte. Ich war gerade auf unwegsamem Gelände in Richtung Gipfel unterwegs, als das Wetter wieder einmal plötzlich umschlug. Diesmal zu stürmischem Regen.

Kurz darauf kam ein Schotte des (Un)weges und sagte zu meiner großen Überraschung mit entsetztem Blick „This rain is horrible, aye?“.

Ich war völlig irritiert. Noch nie habe ich einen – über das Wetter! – derart betrübten Schotten gesehen. Ich redete davon, dass der Regen bestimmt bald nachlassen wird, außerdem ist doch Sommer und der Regen ist doch auch schön und überhaupt, das Leben –.

Schon bald klarte seine Miene auf und er sagte „and before, it was a really nice day, aye.“ Er schien mir der erste Schotte zu sein, der sich vom Regen tatsächlich die Laune verderben lässt. Eine Ausnahmeerscheinung.

Doch am Ende meinen es die Highlands ja dann doch immer gut. Als ich einen einsamen See fand – der ideale Ort, um mein Zeit aufzuschlagen –, kam dann plötzlich doch wieder die Sonne durch und schenkte mir eine zaghafte Abendwärme.

Zwar lange nicht genug, um den See aufzuwärmen, doch für ein kurzes Bad war er dennoch willkommen.

Als Krönung des Tages gab es – wie immer – Pasta mit Pesto. Dieses Gericht (wenn man es als solches bezeichnen mag) hat auf meinen Abenteuern inzwischen Tradition.

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Linn of Dee

Nachts wurde ich von einem heftigen Highlandsturm geweckt. Ob mein Zelt wohl stabil genug sei, dem standzuhalten?

Solche Fragen könnten einen fast um den Schlaf bringen.

Doch dann fiel mir ein, dass mein Zelt schon weitaus schlimmeres überstanden hat: Einen nächtlichen Ozeansturm.

Denn einst hatte ich geglaubt, dass es eine gute Idee sei, mein Zelt an der Nordküste Schottlands auf einer 40 Meter hohen Klippe vor dem offenen Meer aufzuschlagen. Der Abend war lieblich und wieso sollte es keine ausgezeichnete Idee sein. So dachte ich.

Bis dann die Nacht hereinbrach und mit ihr – der Ozeansturm. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte mich mitsamt Zelt über die Klippe bis nach Grönland getragen.

Was ärgerlich gewesen wäre – oder ein Abenteuer, je nach Perspektive. Als Entschädigung für die unruhige Nacht präsentierten mir die Highlands dann eine beinahe wärmende Morgensonne. Damit war alles vergessen.

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Beinn Dearg

Heute Früh verließ ich Kracker das Pferd, die beiden Hunde und das gemütliche Haus, das ich bis jetzt gehütet hatte.

Meine Gastgeber waren bereits vor zwei Tagen nach Hause zurückgekehrt. Sie hatten mir netterweise angeboten – für immer zu bleiben. Das ging zu weit, doch in zwei Wochen werde ich noch mal einen kurzen Zwischenstopp bei ihnen einlegen (und dann wieder sehr dankbar über das Daunenbett sein).

Anfangs hatte mich die Gastgeberin, eine etwa 70-jährige Schottin, durchaus irritiert (bis ich sie dann kurz darauf ins Herz schloss). In den ersten 5 Minuten unseres Kennenlernens erzählte sie mir, das ihre Schwiegermutter eine Hexe sei. Mit jeder weiteren Minute ihrer Erzählung kam ein weiteres Mitglied ihrer Verwandtschaft dazu – und sie alle kamen nicht viel besser weg als die Hexe.

Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass hier ein großartiges Theaterstück in Gange war, und begann, die kostenlose Vorstellung zu genießen.

Vor Kurzem war ihr Vater gestorben – der Tod war lange erwartet worden, niemand schien erschüttert – und so musste nun die Beerdigung organisiert werden. Zu allem Unglück reiste dazu der Bruder der Gastgeberin mitsamt Gattin aus dem fernen Asien an. Diese Gattin! Eine Bankerin aus Malaysia, die der festen Überzeugung sei – so wusste meine Gastgeberin – etwas besseres zu sein als meine Gastgeber, die beiden schottischen Farmer. Während die beiden praktisch veranlagt seien, tue jene nichts anderes, als den lieben langen Tag Designerhandtaschen zu kaufen.

Heute Mittag sollten die beiden unliebsamen Gäste also ankommen. Schon in der Früh lag eine angespannte Nervosität in der Luft. Als ich in die Küche kam, war meine Gastgeberin gerade verzweifelt darum bemüht, fünf Kuchen halbwegs ansehnlich auf eine Platte zu stapeln. Dabei beschwerte sie sich darüber, dass es jedes Mal das gleiche sei: Sie kaufe fünf Kuchen, ihr Bruder komme und esse keinen davon.

Aus Gründen der Höflichkeit (und aus Rücksicht auf die laufende Vorstellung) verzichtete ich auf die Frage, weshalb sie denn dann schon wieder fünf Kuchen gekauft habe?

Meine Gastgeberin hatte sich extra fein gekleidet, schließlich hielte sich ihre Schwägerin ansonsten wieder für etwas besseres. In dem Moment kam ihr Mann in Arbeitsklamotten von draußen und betrat hungrig die Küche. Mit blankem Entsetzen ordnete sie an, er solle sich gefälligst etwas ordentliches anziehen! Woraufhin er protestierte – nur weil die Gattin des Bruders denke, etwas besseres zu sein, ziehe er sich doch nicht um!

Nun gut. So standen die viel zu schicke Dame und der Farmer in Arbeitsklamotten nervös an der Tür und warteten auf die Ankunft des ominösen Bruders. Ich musste an meinen Lieblings-Theaterautor denken, Anton Tschechow. Denn dieses Stück hätte auch aus seiner Feder stammen können: Anlässlich der Beerdigung des reichen Vaters kommt der verschollene Bruder aus Malaysia mitsamt edler Gattin in das schottische Farmhaus des „praktisch veranlagten“ Ehepaars – großartiger Stoff! Wie würde es bei Tschechow wohl weitergehen?

Der Hausherr würde sich natürlich schon im ersten Akt heimlich in die schöne fremde Gattin verlieben. Im zweiten Akt würde der Bruder den Anwesenden kleinlaut offenbaren, dass er das Haus des Vaters betrunken beim Pferderennen verzockt hat und die Frage nach dem Erbe damit hinfällig ist. Und während die Hausherrin im dritten Akt ihren Bruder mit fünf verschiedenen Kuchen und so allerhand dunklen Familiengeheimnissen bewirft, machen sich die Gattin und der Hausherr betroffen aus dem Staub. Wie das Theater eben so spielt.

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2QQ3+FR Ullapool, Vereinigtes Königreich

Die Highlands sind stets liebevoll darum bemüht, ihre Gäste in Demut zu schulen. Für diesen hehren Zweck sorgen sie dafür, dass nie alles ganz perfekt ist – aber auch nie das gänzliche Gegenteil der Fall ist.

Und so kann nie mehr als ein einziges der großen Highland-Übel über einen kommen – da das eine glücklicherweise das andere ausschließt.

Entweder Regen. Oder Midges. Gestern schien die Abendsonne in solch einer Selbstverständlichkeit, dass ich in einem Anflug von Übermut beinahe vergaß, dass jede Medaille zwei Seiten hat.

Die zweite Seite zeigte sich sogleich heute Morgen, als mich Scharren von Midges (die wie ich von all der Sonne übermütig geworden waren) auffraßen.

Bald sah ich trotz meines Mückennetzes aus wie von den Masern befallen.

Demütig stieg ich von meinem hohen Berg herab und fragte unten im Dorf, ob mir jemand sagen könne, weshalb mich die Midges trotz Mückennetz auffressen. Das gehöre sich doch nicht, aye?

Von den weisen Schotten lernte ich, dass für Midges auf Grund ihrer Kleinheit (ich vermute, sie meinen auch die geistige) ein spezielles Mückennetz erforderlich ist. Sie verkauften mir fröhlich einen Midget-Hut und nie fühlte ich mich adequater gekleidet.

Für die nächste Nacht machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten See und wurde schließlich hinter sieben Bergen fündig.

Und da es heißt, dass man nicht jeden Tag das gleiche essen soll (wieso eigentlich?), gab es heute statt Pasta mit Pesto einmal Pasta mit roter Beete. Über den Geschmack lässt sich streiten, aber das lässt es sich ja immer, weshalb dies keine Rückschlüsse auf die Qualität meiner heutigen Kochkünste zulässt.

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Hermit's Castle

Bei meiner gestrigen Übernachtung musste ich weder gegen Midges – noch gegen Regen kämpfen.

Der aufmerksame Leser würde an dieser Stelle hellhörig werden. Die Highlands ohne Übel? Ich jedoch – freute mich und wähnte nichts Böses.

Bis ich beim Aufwachen und Zusammenpacken des Zeltes erkennen durfte, dass es ein drittes Übel gibt. Ein Übel, das die beiden ersteren an Ausmaß und Schrecken sogar noch bei weitem übertrifft:

Zecken. Sie hatten die Ruhe der Nacht genutzt, um mein Zelt von außen zu erklimmen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich in den Kampf zu begeben und mein Zelt mit Leib und Leben zu verteidigen.

Ich ging schließlich siegreich daraus hervor und verbrachte den restlichen Tag damit, die unwegsame, aber atemberaubende Westküste entlangzufahren. Später saß ich einige Stunden lang auf einer Klippe und hörte dem Ozean zu.

Alle Antworten kannte selbst er nicht.

Und doch verriet er mir eine: Die Übel der Highlands sind gar nicht dazu da, um mir das Leben schwer zu machen oder mich zu ärgern. Sie haben einen sogar sehr wichtigen Zweck: All diese kleinen Übel halten das einzig große Übel ab, das größte, das giftigste und gefährlichste. Jenes Übel, das sich überall sonst in der Welt verbreitet hat, selbst im hintersten Winkel der Erde und noch auf der zartesten Insel. Jenes Übel, das jede Schönheit zerstört und alles Heilige zunichte macht:

Tourismus. Und plötzlich verstand ich. Ab jetzt werde ich den erhabenen Highlands dankbar all ihre kleinen, weisen Übel nachsehen können.

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Glenfield Park Ullapool

Heute – tat ich nichts.

Außer mit meinen beiden neuen Pflegehunden zu schmusen – zwei alte Hundedamen, die einer vornehmen englischen Dame gehören (die gerade auf ein Musikfestival gefahren ist, um mit ihrem Klischee zu brechen).

Später erkundschaftete ich die Stadt Ullapool (was nicht lange gedauert hat). Die sogenannte Stadt besteht aus einem Hafen mit einer Straße davor, hinter welcher sich ein paar Häuschen aufreihen. In der Straße immerhin gibt es Restaurants, Cafés und einem Touri-Shop (ich höre die drei Touris vor dem Laden über Midges schimpfen. Sie werden wohl nicht wiederkommen).

Kurz: Man könnte es auch Dorf nennen. Und doch: Ich entdeckte ein gemütliches Café und bekomme hier den ersten Cappuccino des Landes \240serviert, den man auch so nennen darf. Einen echten Barista-Kaffee, der auch wie ein solcher schmeckt.

Eine Seltenheit! Denn ein Land des Gourmetkaffees ist Schottland gewiss nicht (die meisten Cafés versuchen diesen Umstand allerdings zu verbergen, indem sie den missratenen Cappuccino unter Bergen von Kabapulver verbergen).

Die nächsten Tage werde ich es den Hunden gleichtun: Ausreichend Schlaf, keine unnötige Anstrengung und von den großen Abenteuern einfach mal nur träumen.

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Glenfield Park Ullapool

Heute wollte ich nichts tun. Das wollten die Hunde auch.

Doch im Gegensatz zu mir waren sie der Meinung, dass man doch schon in der Früh um sechs zusammen nichts tun kann? Hallo?

Es gelang mir, sie immerhin um eine Stunde zu vertrösten. Ich redete von anderen Zeitzonen und acht Stunden Schlaf pro Tag, doch mehr als eine Stunde war nicht rauszuhandeln. Nach einem viel zu frühen Spaziergang fielen sie dann in ihr Körbchen – plötzlich wieder todmüde – und ich begann zu arbeiten.

Immerhin produktiv, dank der geschenkten Morgenstunden. Später half mir Kaffee aus meinem temporären Stammcafé über die Runden (die Runden durch den Park – erneut erwacht, wollten die Hunde dringend mit mir die Welt entdecken).

Wohlverdient gönnte ich mir zum Abschluss des Tages – erneut im Stammcafé, das sich Abends als Stammpub herausstellte – half a pint mit Blick auf den Hafen. Die Boote schliefen bereits, die Midges waren in Höchstform (zu erkennen an den wilden Tänzen der Touristen) und ich war froh, eine weitere Nacht im mückenlosen Daunenbett schlafen zu können. Hunde, können wir uns auf acht Studen einigen, aye?

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An Talla Solais

Ullapool, Tag drei. Einen Tag, bevor es mich wieder in die Wildnis verschlagen wird, habe ich mich geradezu ausgezeichnet an das temporäre Leben als schottische Städterin gewöhnt. Museum, Café, Pub.

Da Ullapool nicht viel größer ist als ein Dorf (genaugenommen ist es ein Dorf, doch sie nennen es Stadt), hatte ich keine allzu großen Erwartungen an die Kunstausstellung des örtlichen Museums. Doch ich war zufällig daran vorbeigelaufen, der Eintritt war frei und so ging ich hinein.

Die meiste Kunst, die man in Schottland vorfindet, besteht aus dramatischen Küstenbildern, abstrakten schottischen Hochlandrindern und sich imposant auftürmenden Wolken. Hat man ein Bild gesehen – kennt man alle. Alle, die je gemalt wurden, und alle, die noch kommen werden (genau genommen handelt es sich bei diesen Bildern höchstens um Design, qualitativ höchst streitbar, und doch nennen sie es Kunst).

Nicht so diese Ausstellung. Eine Dichterin aus Gaza schrieb über Vertreibung, Heimatlosigkeit, Hoffnung, Verlust. Ein schottischer Maler antwortete. Die Ausstellung war so berührend, existenziell, Fragen aufwerfend – dass ich später zurückkehrte, um sie mir erneut anzuschauen.

Was außerdem geschah: Ich gewann 5 Pfund im Lotto, meine Midges-Stiche sind fast verheilt und ich fühle mich bereit für neue Abenteuer.

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J8RP+97 Achnaclerach, Garve, Vereinigtes Königreich

So schön die tatkräftig Bewachung durch die beiden alten Hundedamen auch war – heute war es für mich an der Zeit, wieder loszuziehen.

Die Besitzerin hatte mir zwar angeboten, noch eine weitere Nacht zu bleiben (was angesichts des schaurigen Wetterberichts für den morgigen Tag wahrscheinlich eine rational sehr gute Entscheidung gewesen wäre) – doch die Highlands hatten da längst gerufen.

Und die Highlands funktionieren nun mal nicht rational. Sie schauen sich keine Wetterprognosen an, messen keine Regenmenge und keine Windgeschwindigkeit. Die Highlands rufen – und man antwortet.

Oder eben nicht. Aber dann verpasst man etwas, was sich rational wohl noch nicht mal in Worte fassen lässt.

Die Druiden, die spirituellen und intellektuellen Autoritäten der keltischen Welt, sahen in den Highlands ein Zwischenreich – und eine beseelte Landschaft voller Energien. Es tummelte von Wesenheiten. Neben Feen, Luft- oder Wasserwesen beherbergten die Highlands außerdem die Geister der Ahnen.

Ich glaube, daran hat sich bis heute nichts geändert. Vielleicht hat die Welt einfach nur die Stille verloren, die es braucht, um all diese Wesenheiten erahnen und – manchmal, im Hauch eines Momentes – wahrnehmen zu können.

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4RVP+47 Tor-na-Haish, Strathdon, Vereinigtes Königreich

Abenteuertag! Sturm Floris – oder aufgeweckte Windgeister? – zog über das Land und ganz Schottland stand Kopf (im zu wahrsten Sinne des Wortes).

Die Straßen waren leergefegt (oder die Autos davongeflogen), Schlösser hatten geschlossen und beim Durchschreiten eines Feldes konnte es passieren, dass einem Schafe um die Ohren flogen. Aber sie sind ja gut gepolstert.

Nicht weiter schlimm. Weil Menschen angehalten waren, zuhause zu bleiben, und mein temporäres Zuhause mein Auto ist, fuhr ich viele romantische Stunden lang mit guter Musik als nahezu einzige Verkehrsteilnehmerin durch die wunderschönen Highlands. Linke Seite, rechte Seite, egal, Mitte.

Schließlich erreichte ich irgendein Dorf und fragte bei einem Stop im Café die Einheimischen, ob sie mir einen guten Ort fürs Zelten bei 140 km/h Wind empfehlen könnten.

Zugegeben, die 140 km/h war nur die Zahl, mit der das Land in Angst und Schrecken versetzt wurde. Achtung Achtung! Gefahr für Leib und Besitz! Hätte ich allerdings von all den Warnungen nichts gewusst, hätte ich vielleicht gesagt, dass es heute sehr windig war.

Oder ich hätte vergessen, diesen Umstand zu erwähnen, weil es in Schottland immer sehr windig ist. Man sollte all diese Nachrichten und Warnungen und herannahenden Katastrophen vielleicht einfach nicht lesen, dann ziehen sie spurlos an einem vorbei wie fliegende Schafe.

Am Ende fand ich dank der ortskundigen Schotten ein wunderschönes, windgeschütztes Tal (zumindest drosselte es die angeblichen 140 km/h auf gefühlte 10 – also immer noch genug, um die Midges abzuhalten). Die Windgeister meinten es heute gut mit mir.

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Quoich Water

Ich bin in einem ganz eigenen Reich gelandet – so fühlt es sich an.

Wie mir der Zutritt gelang, ist mir nicht ganz klar, doch nun – bin ich hier. Im Reich der tiefen Täler, Quellbäche, Berge und Windgeister.

Und ich bin alleine. Außer mir niemand, zumindest kein Mensch.

Ich habe beschlossen, einschließlich gestern drei Nächte hier zu verbringen. Heute lief ich den ganzen Tag lang ohne Ziel auf Berge und durch Kiefernwälder, kam vom Wegen ab und fand neue.

Die Grenzen habe ich noch immer nicht erschlossen, es fühlt sich alles unendlich weit an. Und zauberhaft schön. Auf seine Art wieder ganz anders als die anderen Regionen der Highlands, die ich bisher kennengelernt habe. Ich glaube, wenn sie irgendwo leben, dann sind die Einhörner und Feen Schottlands hier zu finden. Irgendwo zurückgezogen in den Höhlen hinter den vielen Wasserfällen.

Hätte ich einen Wunsch frei, ich wollte Königin von diesem Reich sein.

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2G4Q+76 Allanaquoich, Ballater, Vereinigtes Königreich

Einen weiteren Tag lang zog ich durch das Reich, dessen Königin ich gerne wäre.

Ich stieß auf keine Grenze. Und auf keinen Menschen.

Stattdessen: Stille, Weite, Wasserfälle.

Nur die gelegentlichen Midges versicherten mir, dass ich noch nicht unbemerkt längst verstorben und im Paradies gelandet bin. Denn auch, wenn man nichts darüber wissen kann: Im Paradies gibt es keine Midges.

Ich beschloss, dass ich heute Nacht unter einem weisen Baum zelten wollte, und so suchte ich an den vielen Wasserfällen nach einem solchen. An das Geräusch von Wasserfällen habe ich mich inzwischen derart gewöhnt, dass ich ohne es nur noch schwer einschlafen könnte.

Ich wurde fündig und verbrachte den Abend damit, auf einem Felsplateau am Wasserfall Abendessen zuzubereiten. Natürlich mit Hut. Ganz so, wie es sich für eine Dame der Highlands eben gehört.

Das Gericht des Tages, von der Köchin (mangels Alternativen) empfohlen: Pasta mit Pesto und dreierlei Bohnen. In Anbetracht der Umstände eine kulinarische Meisterleistung.

Und nun traf ich den Entschluss: Hier möchte ich für immer bleiben.

(und werde dennoch morgen weiterziehen müssen. Schon allein, weil mein Proviant sich dem Ende zuneigt. Manchmal sind es die Banalitäten, die große Träume verhindern)

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MH7C+HX Banff, Vereinigtes Königreich

Als ich morgens aus meinem verzauberten Tal hinauslief, kam ich an der Picknick-Lodge von Queen Victoria vorbei. Sie hatte sich wohl auch gerne in diesem Tal aufgehalten und dazu dieses Häuschen errichten lassen, um ihr Käsebrot standesgemäß verzehren zu können.

Es war hier also tatsächlich schon mal eine Königin zugegen gewesen. Queen Victoria ist lange her und ich begann mich zu fragen, ob die Position für dieses Tal nun wohl vakant sei?

Ein verzaubertes Tal braucht doch eine Königin, wer macht das denn jetzt? Und wo kann man sich bewerben?

Ich bekam keine Auskunft und so verließ ich ratlos das Tal, ohne meinen Lebenslauf abgegeben zu haben.

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MCCX+84 Banff, Vereinigtes Königreich

Nachdem ich mein märchenhaftes Tal voller Wehmut verlassen musste, wurde ich von den neuen Umständen getröstet.

Gestern Abend kam ich in meinem neuen temporären Zuhause an – ein wunderschönes Haus, umgeben von alten Bäumen und weiten Feldern.

Der Strand ist nur wenige Autominuten entfernt – doch hätte Hund Max nicht so viel Spaß am Strand, man könnte sich den Weg fast sparen.

Denn das Haus verfügt über einen Outdoor-Whirlpool und eine eigene kleine Schwimmhalle. Doch das Rauschen der Wellen kann beides nicht ersetzen und so zogen Max und ich Nachmittags ein zweites Mal los an die Küste. Jedoch erst nach getaner Arbeit, die ich erfolgreich an Kater Barney delegieren konnte.

Da Max‘ Besitzer vor seiner Rente Polizeihunde ausgebildet hat, ist Max vorbildlich erzogen.

Wir besuchen ein paar verschlafene Küstendörfer und wundern uns über das ungewöhnliche Leben dort.

Zuhause freue ich mich über die Küchenausstattung. Der Wasserhahn liefert auf Knopfdruck kochendes Wasser und statt Instant-Kaffee gibt es erstmals sogar eine Kaffeemaschine.

Und dann folgt der beste Teil des Abends:

Bei Sonnenuntergang liege ich im Whirlpool und lasse mir vom weisen Baum Geschichten erzählen.

Es hat mich in diesem Leben schon mal schlimmer getroffen.

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Banff

Max und ich verbrachten einen Großteil des Tages am Strand.

Das Spiel hat nur ein Level und die Regeln sind recht schnell gelernt – Hund wartet, Ball fliegt, Hund fängt, große Freude.

Doch auch wenn der Hund, der Ball, das Spiel und ich selbst die immer gleichen bleiben – die Wolken wissen minütlich für dramatische Abwechslung zu sorgen.

Und so ändert sich die Kulisse mit jedem Ballwurf. Da man vom schottischen Wolkenspektakel nie genug bekommen kann, führe ich die Beobachtung später vom Whirlpool aus fort.

Im Haus werde ich dabei ungeduldig von den beiden Tieren erwartet, die mit mir gerne einen gemütlichen gemeinsamen Abend im Wohnzimmer verbringen möchten.

Diesen Wunsch kann ich ihnen natürlich nicht abschlagen, doch es dauert nicht lange, da sind sie auch schon eingeschlafen.

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Findlater Castle

Heute unternahm ich mit Max einen kulturellen Ausflug.

Ich zeigte ihm Charlie‘s Höhle und erklärte ihm die Größe, die in der Einfachheit seiner Philosophie liegt (im letzten Jahr hatte ich viel darüber geschrieben – in aller Kürze lautet sie: Man hat immer eine Wahl – die Frage ist nur, welchen Preis man zu zahlen bereit ist. Wenn man diese Erkenntnis ernst nimmt, ändert sich das ganze Leben).

Max war beeindruckt.

Später zeigt ich ihm meine Lieblingsruine, das Findlaters Castle. Ein Schotte erzählte mir, dass hier letzte Woche Dreharbeiten für irgendeinen großen Film mit irgendwelchen großen Schauspielern stattgefunden haben. Ich habe all die großen Namen schon mal gehört und alle wieder vergessen.

Später waren Max und ich so sehr in unser gewohntes Ballspiel vertieft, dass wir beinahe das wichtigste verpasst hätten. Eine entgegenkommene Schottin fragte mich begeistet, ob ich die Delphine schon gesehen hätte. Delphine? Und tatsächlich – auch die Delphine schienen in Spiellaune zu sein, und so zogen sie zahlreich und munter springend die Küste entlang.

Zurück zuhause ließ ich an meinem letzten Abend in diesem Haus den Jacuzzi ausfallen. Es regnete, und ich werde so ungern nass, während ich im Whirlpool sitze.

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Loch Callater

Nachdem ich Hund Max, Kater Barney und den Jacuzzi verabschiedet hatte, zog es mich wieder sehnsuchtsvoll in die Highlands zurück.

Keine Annehmlichkeiten dieser Welt würde ich ihnen vorziehen. Wenngleich ich zugeben muss, im Geheimen ein großer Fan des Whirlpools geworden zu sein.

Ich habe Essen für vier Tage im Gepäck und freue mich über bestes Wetter. Was bedeutet: Kein Regen und etwa 4 km/h Wind, sodass ich den Abend genießen kann – die Midges jedoch nicht.

Wie schon so oft beschleicht mich das Gefühl, dass Fotos das Wesen der Highlands nicht ausdrücken können. Worte jedoch auch nicht. Vielleicht ist der Ausdruck der Unmöglichkeit des Ausdrucks der wahrste Ausdruck, der möglich ist.

Später zeigen sie sich von ihrer Abenteuerseite: Ich finde Teile eines Flugzeugwracks (wie aufregend!).

Es scheint mir jedoch ein sehr altes Flugzeug zu sein, weswegen ich davon absehe, meinen Sensationsfund an die dpa zu melden.

Irgendwann finde ich einen freundlich plätschernden Bach an dem ich mein Zelt aufschlage. Das Gericht des Tages: Chinesischer Reis mit indischer Soße und schottischen Erbsen. Die Zutaten verstehen sich trotz der kulturellen Unterschiede gut.

Und wieder einmal stelle ich fest: Nie bin ich glücklicher als in den Highlands.

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Waterfall

Nachdem ich von der Sonne geweckt wurde, machte ich mich auf zu einer großen Runde über einige Munroes.

Auf dem Rückweg entdeckte ich auf der Nordseite des gestrigen Berges plötzlich ein weiteres Teil des Flugteugwracks: Den rechten Flügel. Das arme Wrack scheint tatsächlich schon eine ganze Weile hier zu ruhen, denn bereits 1988 stellte ein Mensch mit Edding die berechtigte Frage „Where‘s the other wing??“, die bis heute unbeantwortet geblieben ist.

Ich stelle mir vor, wie der Pilot – dank Schleudersitz gerettet – außer sich ist vor Freude über sein Überleben. „Das ist das coolste, was ich je überlebt habe! Das glaubt mir doch kein Mensch!“ Und da es damals noch keine Smartphones für Beweisfotos gab, klemmte er sich kurzerhand den linken Flügel unter den Arm und spazierte glücklich pfeifend nach Hause zu Frau und Kind.

Ich untersuchte den Flügel, aus welchem viele verzweifelte Kabel herausragten. Das Problem war schnell gefunden: Eine kalte Lötstelle! Ich kenne das Problem selbst und bin immer wieder froh, dass ich auf meinen selbst gelöteten Installationen nicht fliegen muss.

Später finde ich einen wunderschönen Wasserfall. Nachdem ich mein Zelt aufgestellt hatte und munter auf den Felsen am Wasser herumkletterte, verlor ich meinen linken Airpod an die Fluten.

Zunächst war ich sehr traurig über den Verlust, aber dann dachte ich, dass es im Leben wahrscheinlich besser ist, seinen linken Airpod zu verlieren als seinen linken Flugzeugflügel – und war getröstet.

Zumal die Highlands Opfergaben mit schönster Abendstimmung zu würdigen wissen. Gern geschehen.

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Auchallater

Geschichten, wie sie nur die Highlands schreiben können: Gestern Abend hatte ich verzweifelt den ganzen Wasserfall nach meinem linken Airpod abgesucht und dabei jeden einzelnen Stein umgedreht. Den Bach war ich hunderte Meter abgelaufen – doch alles vergeblich. Ich musste akzeptieren, meinen linken Airpod verloren zu haben und ging schlafen.

Nachts träumte ich dann, wie ich über die Apple-Suchfunktion den Weg des Airpods vom Bach über die Flüsse bis in den ewigen Ozean nachverfolgte. Im Applestore wurde mir dann jedoch gesagt, dass sie mit leider keinen Ersatz anbieten könnten, da dieses Modell so nicht mehr hergestellt werde.

Heute Morgen erkannte ich dann: Es war gar kein Verlust, es war ein Lehrstück – ein Lehrstück über das Loslassen. Denn wie ich im Wasserfall stand und duschte, lag plötzlich direkt neben meinem Fuss – mein linker Airpod. Ich erwartete zwar nicht, dass er nach einer Nacht im tosenden Wasser noch funktionsfähig war, freute mich aber dennoch über alle Maßen. Und dann die Überraschung: Er hatte zwar nur noch 1% Akku, aber nichts an seiner Klangqualität eingebüßt.

Als ich dann gerade losgewandert war, flog mir plötzlich ein altes Flugzeug entgegen. So nah, dass ich es beinahe hätte streicheln können. Es sah dem gestrigen Wrack – dem ja bekanntermaßen der linke Flügel fehlte – erstaunlich ähnlich und so fragte ich mich, ob über Nacht nicht nur ich meinen linken Airpod, sondern auch das arme Flugzeug seinen linken Flügel zurückbekommen hat? Wenn einer dazu in der Lage ist, dann die Highlands.

Auf einem hohen Gipfel traf ich zwei junge Herren aus Aberdeen. Sie waren beeindruckt von meinem großen Rucksack und so erzählte ich ihnen, dass ich gerade vier Tage am Stück hier in den Highlands unterwegs sei. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, wie man in den Highlands mehrere Tage überleben könne und so gab ich ihnen einen kleinen spontanen Workshop.

Modul 1 handelte von der Trinkwasserversorgung. Ich erklärte, welches Wasser man bedenkenlos trinken könne, für welches Chlortabletten anzuraten sei und welches Wasser man besser nie trinken solle (braune Pfützen sind zu meiden).

Es folgten zwei weitere Module zur Ernährungsfrage und Schlafplatzwahl (es war ja nur das Einstiegsseminar). Danach waren die beiden sehr bewegt von der Möglichkeit, in den Highlands schlafen zu können.

Dies brachte mich auf die Idee, in einem meiner nächsten Leben Survival Guide in den Highlands zu werden, um die Menschen in ihre Natur zurückzuführen.

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3RQQ+QX Aberdeen, Vereinigtes Königreich

Nach ereignisreichen Tagen – und das sind Tage in den Highlands immer, selbst wenn augenscheinlich nichts passiert – folgen meist ereignisverschlafende Tage.

Bei meinem frühmorgendlichen Bad im See durfte ich mich noch über die wärmende Anwesenheit der Sonne freuen. Doch später – ich saß noch keine halbe Stunde im Auto – brach ein plötzlicher Wolkenbruch mit Gewitter, Starkregen und Hagel über das Land herein.

Ich habe absolut keine Idee, wie man diesem Wetter in den offenen Highlands begegnen sollte (das kommt erst in Modul 42, so weit bin ich in meinem eigenen Kurs noch nicht fortgeschritten). Schließlich gibt es meist über viele Meilen keinen einzigen Baum, sodass man stets stolz davon ausgehen darf, dass der Blitz den eigenen Kopf als höchsten Punkt werten würde.

Aber: Vielleicht brauche ich Modul 42 gar nicht. Schließlich war es eine nette Geste, dass mir die Highlands vier Tage lang Sonnenschein geschenkt haben und mit dem ganzen Rest warteten, bis ich wieder im sicheren Auto saß.

Den restlichen Tag betrieb ich Caféhopping quer durchs Lands, bis ich schließlich wieder bei meinen Hunden von Woche eins angekommen war.

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New Slains Castle

Ich besuchte die Ruine, in der ich vor zwei Jahren einmal übernachtet hatte – bevor ich dann erfahren habe, dass dieser Ort die Inspiration für Drakula‘s Schloss gewesen war.

Sie war nahezu unverändert. Nur der hohe Turm war inzwischen verschlossen worden, was schade war, wo er mir noch vor zwei Jahren als wichtiger Beobachtungsstützpunkt gedient hatte. Spätabends war damals eine zwielichtige Gestalt aufgetaucht (oder ein harmloser Besucher, aber Nachts im Schloss sind alle Menschen grau).

Von ihm unbemerkt verschanzte ich mich hoch oben im Turm und wachte von dort aus über mein Schloss, bis der Eindringling weit von dannen gezogen und der nächtliche Schlossfrieden eingekehrt war.

Heute als Tagesbesucherin empfand ich den Ort als sehr viel gewöhnlicher als damals als temporäre Schlossherrin.

Weitere Übernachtungsgäste waren im Laufe der Zeit – neben Bram Stoker und mir – etwa Winston Churchill. Sie alle schienen allerdings schon abgereist zu sein, bevor ich dort ankam.

30
Coast

Ich kletterte eine Weile die Klippen entlang – bis ich bemerkte, dass ich heute gar keine Lust zu laufen hatte.

Und so setzte ich mich ans Meer – und tat nichts. Doch es dauerte nicht lange, da kam die Schönheit des Ozeans von ganz allein zu mir.

Vom Rande meiner Klippe aus bestaunte ich so allerlei verschiedenfarbiges Ozeangetier und fühlte mich dabei bestens unterhalten.

Zurück zu Hause ging ich mit den Hunden eine Runde spazieren – bis ich bemerkte, dass ich heute gar keine Lust zu laufen hatte.

Und so setzte ich mich an die Küchentheke – und tat nichts. Doch es dauerte nicht lange, da kam die Schönheit des schottischen Haushalts von ganz allein zu mir. Meine herzlichen Gastgeber luden mich auf einen Abschiedsdrink ein.

Vielleicht sollte man den Tag viel öfter mit der Schönheit des ereignisreichen Nichtstuns verbringen.

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9C9R28JF+H5

Nirgendwo erlebe ich so sehr das Gefühl von Heimat wie hier – in den Highlands.

An keinem anderen Ort, in keiner Wohnung und keinem Haus gibt es diese Weite, Freiheit und –

Stille. Diese besondere Stille, in der alles auf seine Weise zu sprechen beginnt.

Und eine Freiheit, in der sich alle gesellschaftlichen Sorgen, Ängste und Konventionen so wundersam fremd (und im gleichen Maße fragwürdig) anfühlen. (So sehr fragwürdig!, Anmerkung der Redaktion)

Jeder Stein, jede Wurzel und jeder Grashalm trägt die Weisheit von Jahrtausenden.

Fast ein bisschen zu schön für diese Welt. Sollte doch das Paradies eigentlich anderen Sphären vorbehalten sein.

Und doch – nur fast.

Denn an den Midges ist noch jede Weisheit hoffnungslos vorübergezogen und so verharren sie immerwährend in schwirrendem Irrtum.

Und doch möchte ich für immer bleiben. Wieso ich allerdings bereits am Mittwoch den Rückflug antreten muss, steht – sofern diesen Umstand denn überhaupt jemand versteht – in den Sternen.

Sie scheinen zahlreich und doch ohne Antwort.

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Devil‘s Point

An meinem letzten Tag in den Highlands erklimme ich einen Berg mit dem vielversprechenden Namen „Devil‘s Point“.

Schließlich kann man nicht fünf Wochen lang durch göttliche Täler wandeln, ohne sich nicht auch ihrer exakten Kehrseite zuzuwenden.

Der Aufstieg ist genauso anstrengend, wie man es bei einem solchen Namen erwarten würde, doch der Ausblick entlohnt alle Mühen.

Jeder Berg und jedes Tal scheinen ihre ganz eigene Energie, ihren eigenen Charakter zu haben. Und je nachdem, in oder auf welchem man gerade unterwegs ist, ändern sich entsprechend des Ortes die eigenen Gedanken und Perspektiven. Da stellt auch der Devil‘s Point keine Ausnahme dar.

Es würde mir nie langweilig werden, Tag um Tag bis ans Ende meiner Zeit immer weiter all die göttlichen Täler und teuflischen Berge zu erkunden.

Und doch. Es ist mein letzter Abend in den Highlands. Und wie jedes Jahr ist es ein Abend voller wehmütiger Dankbarkeit.

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North Shore Car Park

Der letzte Abend. Ich sitze an irgendeinem relativ unmotivierten schottischen Loch in der Nähe des Edinburgh Airport. Als Abschiedsessen gibt es echte schottische Gemüsesuppe, die ich zuvor bei Lidl gekauft hatte.

In der Ferne Straßenlärm und \240Menschenstimmen, die Highlands hunderte Meilen weit entfernt. Hier beginne ich mich so langsam wieder auf meine Wohnung mitsamt ihrer 26 Pflanzen daheim in München zu freuen.

So schön das Aufbrechen auf eine Reise immer ist, so schön ist auch das Zurückkommen. (Aber – wenn ich doch nur die Highlands mitnehmen könnte… ich vermisse sie schon jetzt… ich komme zurück, versprochen!)

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easyJet

Morgens wurde ich von Pferdegewieher geweckt – ich hatte wohl hinter einer Pferdekoppel gezeltet (sie wieherten allerdings eine Stunde zu früh). Wie gewohnt nahm ich ein morgendliches Bad – diesmal jedoch in einem algigen See statt in einer klaren Highland-Quelle.

Die Algen scheinen meinem Haarvolumen zuträglich zu sein. Die Frisur sitzt und niemand käme auf die Idee, dass ich seit Tagen keine herkömmliche Dusche mehr gesehen habe.

Und so sitze ich glücklich am Flughafen und ertappe mich dabei, die Preise von schottischen Mietwagen für den Sommer 2026 zu checken. Aus Versehen habe ich 6 Wochen eingegeben und die Preise gefallen mir. Hiermit verabschiede ich mich von diesem Blog, doch kann versprechen – ich komme wieder.